Das Triest-Modell

Im Sommer 2009 waren der Rumpf grundiert und die Aufbauten weitgehend restauriert. Allerdings steckte ich, wie beschrieben, im Lackierloch; d.h. ich wusste nicht, wie ich den Anstrich des Modells bewerkstelligen sollte. Außerdem konnte ich mittlerweile ziemlich genau abschätzen, wie viel, also wie wenig ich über das ursprüngliche Aussehen des Bootsdecks wusste. Von heute aus betrachtet, muss ich sagen, dass das Projekt damals in einer so schweren Krise steckte, dass gar nicht mehr sicher war, ob ich es zu Ende bringen würde.

Da fragte mich ein Bekannter, dem ich meine Arbeit und ihre Probleme erläutert hatte, ganz naiv, ob es nicht andere Modelle des Schiffes gebe, an denen ich mich orientieren könnte?

Andere Modelle! Natürlich! Warum um alles in der Welt war ich nicht selbst auf die Idee gekommen? Ich wusste doch, dass von einem Schiff dieser Bedeutung in der Regel mehrere Werftmodelle hergestellt wurden. Und wenn meines aus einem Wiener Reisebüro stammte, musste doch noch mindestens ein weiteres existieren, das in der Reederei in Triest gestanden hatte. Ich vermute, es liegt auch an meiner Herkunft, dass ich nicht auf die Idee gekommen war, nach einem Schwestermodell zu fragen. Als Deutscher ist man einfach zu vertraut mit der Auskunft, dass etwas „im Krieg zerstört“ worden sei, um allzu oft nachzufragen.

Jetzt brauchte ich jemanden, der fließend Italienisch sprach. Ich fand ihn, und wir begannen ein langes Telefongespräch, das zuerst in die Stadtverwaltung von Triest und schließlich in das dortige Schifffahrtsmuseum führte. Die letzte Auskunft war: Ja, es gebe ein Modell der Presidente Wilson (der zweite der vier Namen der KFJ), das stehe normalerweise vor dem Büro des Bürgermeisters von Triest, sei aber jetzt bis zum Herbst für eine Sonderausstellung über die Reederei Cosulich an das Museum in Genua ausgeliehen. Ich schämte mich noch einmal kurz dafür, drei Jahre lang nicht auf diese Idee gekommen zu sein, dann stieg ich ins Auto und fuhr nach Genua.

Das Modell der Presidente Wilson ist m.E. nie restauriert worden, hat das aber auch bis heute nicht nötig. Es zeigt ein paar kleine Beschädigungen; den Lack und das Holz hat die Zeit strapaziert, aber ansonsten sieht es aus, wie es ausgesehen hat, als es ein werkstattneues Modell der KFJ war. Der Name Presidente Wilson ist recht sauber über die Stelle geschrieben, an der „Kaiser Franz Joseph I.“ mit kleinen silbernen Buchstaben am Rumpf geschrieben stand, ansonsten sind nach meiner Einschätzung keine Veränderungen an dem Modell vorgenommen worden. Selbst in der empfindlichen Takelage der Ladebäume scheint nie etwas abgebrochen oder gerissen zu sein; und wenn ja, wurde es fachmännisch repariert.

Ich war, als ich vor der Vitrine mit dem Modell stand, sehr beeindruckt. So prachtvoll sollte auch meine KFJ einmal aussehen! Aber was war nicht alles noch zu tun. Auf dem Bootsdeck, das bei meinem Modell im Laufe der Zeit praktisch leergefegt worden war, erkannte ich auf Anhieb etliche Teile, die sich nicht in meinen Kästen würden finden lassen. Die hohen Schornsteine und ihre Verspannung waren äußerst komplexe Gebilde, dasselbe galt für die Bootsdavits und ihre Takelung. Ich machte mit Erlaubnis der Museumsleitung etwa 300 Fotos von dem Modell, saß dann noch eine halbe Stunde in dem kühlen Raum und trat anschließend hinaus in die brennend heiße Stadt, setzte mich ins Auto und fuhr, sehr animiert, nach Hause. Die übrigen Bestände des schönen Museums in Genua habe ich erst vier Jahre später gewürdigt, kurz nach Fertigstellung der KFJ.

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